Das Familienerbstück oder wie ich zu meinem Ovali kam
Die Geschichte fängt eher traurig an. Es war im September 2008 als ich von meinen Eltern einen Anruf bekam "Onkel Willi ist gestorben". Onkel Willi, den Bruder meine Oma, kannte ich persönlich eigentlich nicht, aber ich hatte aus meiner Kindheit noch Postkarten in Erinnerung, die zu Ostern, Weihnachten und zu Geburtstagen immer auf den Küchenschrank meiner Großeltern standen.
Wochen später beim sonntäglichen Kaffeetrinken im Kreise der Familie kam natürlich das Gespräch auf Onkel Willi. Meine Oma meinte "Der Willi war schon immer ein Eigenbrötler, war nie verheiratet und ist nach der Vertreibung im Krieg nach Soest gezogen und dort geblieben. Besuchstermine hat er meistens abgelehnt aber er hatte sich in den 50er schon ein Auto gekauft. Daraufhin mein Vater "Wir waren doch in den 80er mal zu Besuch in seinem Schrebergarten und im Hühnerstall stand ein ganz alter Käfer auf dem die Hühner saßen. Ende der 90er hat er mich doch mal gefragt ob ich ihm ein VW Emblem besorgen könnte, da ich ja im VW Werk arbeite. Seins würde nicht passen".
Käfer im Hühnerstall, Emblem das nicht passt - so langsam interessierte mich die Geschichte. Es stellte sich heraus das meine Oma der einzige noch lebende Verwandte war. Sie war allerdings auch schon 96 und so übernahmen meine Eltern die Abwicklung des Nachlasses. Da kein Testament existierte mussten erst die Nachkommen der bereits verstorbenen anderen Geschwister ermittelt werden. Bei der Räumung seiner Eigentumswohnung tauchten dann alte Bilder auf, in der Küche stand eine alte 6V Batterie unter dem Küchentisch und an der Garderobe hin ein Käferschlüssel.
Die Frage war nun, gab es das Auto noch und wo war es. Das Rätsel löste sich ein paar Wochen später als meine Mutter anrief und meinte "Onkel Willi besaß am Stadtrand von Soest 2 Garagen und in einer steht ein alter Käfer. Außerdem haben wir einen Karton gefunden der voller Papieren von dem Käfer ist". Ich beschloss mir den dubiosen Karton einmal näher anzusehen, der Weg nach Soest war mir erst einmal zu weit. Besagter Karton erwies sich als wahre Schatzkammer in Sachen Fahrzeughistorie denn er enthielt alle Unterlagen des Käfers und zwar von beginn an. Neben dem noch handschriftlichen Kaufvertrag vom 23.05.1957 waren u.a. noch der original Brief, Fahrzeugschein, einer Rechnung über die Nachrüstung der Blinker von 1963 auch noch weitere Fotos sowie der Schriftverkehr eines Anwaltes enthalten.
Warum der Käfer in den 80er in den Hühnerstall musste, ließ sich leider nicht rekonstruieren zumal der Wagen in den ersten 20 Jahren immer im Oktober abgemeldet und im April wieder angemeldet wurde. Interessant war allerdings der Schriftverkehr des Anwalts aus dem Jahr 1989. Scheinbar beschloss Onkel Willi den Käfer wieder zu reaktivieren. Da er vermutlich in der Zeit im Hühnerstall etwas gelitten und vermutlich auch Rost angesetzt hatte, gab er den Käfer in eine Werkstatt. Nicht zum Autohaus Ludewig wo er ihn einst kaufte und nach den Rechnungen bis 2002 regelmäßig zur Inspektion und für kleine Reparaturen brachte, sondern zu einer kleinen freien KFZ Werkstatt. Es wurde wohl abgesprochen "reparieren immer wenn Zeit ist, es eilt nicht". Nun Zeit schien die Werkstatt nicht viel zu haben denn das ganze zog sich über 2 Jahre hin. Aus den Briefen des Anwaltes ging hervor das in dieser Zeit wohl auch einige Teile (Motorhaube, Kofferraumhaube und einige Scheiben) "verschwanden", zudem stand der Käfer in der Werkstatt wohl im Weg und wurde kurzentschlossen in den weitläufigen Hundezwinger auf dem Werkstattgelände geschoben. Der dort lebende Hund war wohl sehr hungrig denn er fraß die originalen Sitzbezüge, die seit der Erstzulassung unter Schonbezügen ruhten, kurzer Hand auf.
Der arme Käfer, erst die Hühner und dann auch noch ein Hund. Trotz allem hat Onkel Willi nie ein anderes Auto als seinen Ovali besessen. Die Geschichte schien aber doch ein gutes Ende genommen zu haben, denn in den 90er Jahren gab es immer wieder Rechnungen für kleinere Ersatzteile und 2001 erhielt der Käfer ein H-Kennzeichen. Ich fasste den Entschluss mir den Käfer anzusehen und ihn ggf. auf der Erbmasse herauszukaufen damit er in der Familie erhalten bleibt. Im März 2009 war es dann soweit ich habe mir eine neue 6V Batterie besorgt, Kurzkennzeichnen an der Zulassungsstelle geholt, eine Werkzeugtasche gepackt und bin mit meinem Vater zur besagten Garage in Soest gefahren in der der Käfer schlummerte. Der Plan war den Käfer, wenn er in Ordnung ist, auf eigener Achse die rund 200 Km nach Kassel zu fahren. Ich war gespannt was mich erwartete als ich das Tor das erste mal öffnete. Da stand er nun:
Die erste Begutachtung ergab das der Käfer neu lackiert wurde und auch der Innenraum wurde erneuert. Der Tacho zeigte rund 72000 Km, was sich auch mit den gefundenen Rechnungen und TÜV berichten deckte. Die Motorhaube passte nicht zum Ovali und auch die Kofferaumhaube stammte aus den 60er. Da war doch was mit dem VW Zeichen das nicht passte. Jetzt war es klar, Onkel Willi hatte wohl versucht das originale Emblem an dieser Haube (mit Sockel) zu montieren was natürlich nicht gelang da die Lage der Stifte etwas anders ist. Nachdem ich den Käfer ans Tageslicht geschoben hatte, den Kommentar der Nachbarn "der Hr. Sommerfeld hat immer bei Regen sein Fahrrad genommen und den Käfer in der Garage gelassen" wohlwollend entgegengenommen habe ging es daran den Motor zum Leben zu erwecken. Erst einmal die Kerzen raus, ein wenig Öl hinein und ein paar Minuten den Motor langsam per Hand gedreht. Kerzen wieder rein, Batterie abgeklemmt und kurz den Starterknopf gedrückt - der Motor drehte. Der Tank war randvoll also den Benzinhahn auf und ordentlich Startpilot in den Vergaser. Der Motor stotterte, machte mächtig blaue Wolken aus dem Auspuff aber sprang für ein paar Sekunden an. Als nächstes habe ich den Vergaser aufgeschraubt und die Schwimmerkammer mit Benzin gefüllt damit ich nicht so lange orgeln muss bis der Sprit den Weg vom Tank in den Vergaser findet. Er sprang wieder an lief ein paar Minuten etwas unrund und ging dann aus. Schwimmerkammer leer. Das Ganze wurde dann wiederholt aber diesmal mit abgeschraubter Benzinleitung. Nach mehreren Versuchen dann die Ernüchterung - es kam kein Sprit an. Der Tank war ja randvoll, wohin nun mit den 40 Litern Benzin um den Benzinhahn auszubauen. In der hinteren Ecke der Garage fand ich mehrere leere 20l Benzinkanister, die den eingeprägten Symbolen nach schon etwas älter waren und mehrere Blumentöpfe als Trichter. Als dann der Benzinhahn ausgebaut war traute ich meinen Augen nicht. Sieb und Röhrchen waren total verharzt. Es ging also unverrichteter Dinge mit dem Benzinhahn wieder zurück nach Kassel. Samstag Abend war an Ersatzteile nicht zu denken - aber Not macht erfinderisch. Mit Bohrmaschine und einer alten Bremsleitung konnte ich den Benzinhahn Notdürftig reparieren und so ging es am Sonntag mit 5l frischem Benzin erneut nach Soest. Der Benzinhahn war schnell montiert, eine kurze Probefahrt mit Bremstest, er zog zwar etwas einseitig aber wird schon gehen ich fahre ja langsam. Die Rückfahrt nach Kassel verlief trotz strömenden Regen gut. Auf Höhe Paderborn hörte ich ein leichten dumpfen Schlag aus Richtung Motor - er lief aber immer noch rund. Im Stadtverkehr von Kassel viel dann der rechte Scheibenwischer ab, da ich gerade an einer Ampel stand konnte ich das gute Stück aber wieder bergen. Stolz wie Oskar parkte ich den Ovali erst mal neben meinem Haus.
Es vergingen ein paar Monate bis alle rechtlichen Angelegenheiten abgewickelt waren und der Käfer in meinem Besitz war. Nun ging es daran den Käfer wieder auf die Straße zu bringen. Er war 2006 abgemeldet worden - ich brauchte also nur frischen TÜV. Dummerweise hatte gerade gebaut und Mangels Zeit und noch fehlender Garage brachte ich meinen Ovali zu einem Bekannten der eine Kfz-Werkstatt besaß. Meine Worte damals waren "Bremsen überholen, Motor prüfen und abdichten und frischen TÜV brauch ich auch, mach wie du Zeit hast, es eilt nicht. Ich muss erst noch eine Unterstellmöglichkeit bauen".
Den Satz "mach wie du Zeit hast" hätte ich nicht sagen sollen denn den hatte der Ovali schon einmal gehört - damals mit schlimmen Folgen. An einem Dienstag im Juli 2009 kam dann ein Anruf "Wir stellen nur noch die Bremse ein, Freitag Morgen ist der TÜV Prüfer im Haus, ruf Freitag Nachmittag an wann du dein Auto abholen kannst". Ich rief bereits Mittags in der Werkstatt an - nichts. Nachmittags - nichts. Also fuhr ich hin. Werkstatt verschlossen. Am Wochenende dann privat angerufen - nichts. Am Dienstag konnte ich meinen Bekannten endlich erreichen. Auf meine scherzhafte Frage "was ist denn los? Hast du den Käfer kaputt gemacht?" kam eine kurze Antwort "ja!". Beim Einstellen der Bremse war der Käfer auf einer Säulenhebebühne. Da man den Unterboden schonen wollte wurden dicke Gummiblöcke auf die Stempel gelegt. Ein Block kippte ab, der Käfer rutschte ab und schlug seitlich in die Säule der Hebebühne ein. Der Versuch ihn wieder frei zu bekommen gab ihm dann den Rest.
Diesen Anblick musste ich erst einmal verdauen. Eine Woche später wurde sich zusammengesetzt um Lösung für den Schaden zu finden. Eine zuerst angebotene Eistandsetzung mit Teillackierung habe ich kategorisch abgelehnt. Ein herbeigerufener Lackierer bestätigte mich " man sieht auf jeden Fall einen Farbunterschied. Auf eine Komplettlackierung gebe ich auch keine Gewähr denn ich weiß nicht was unter dem Lack ist und wenn nach ein Jahr etwas hochkommt, bin ich der Dumme". Nach einer Woche Bedenkzeit fasste ich den Entschluss - alle Uhren auf Null. Komplett Restauration. Ich wollte die nächsten Jahrzehnte Ruhe haben und mich nur um verschleißbedingte Reparaturen kümmern, jedenfalls keine Blech Arbeiten.
Mit der Werkstatt wurde folgender Kompromiss ausgehandelt: Werkstatt übernimmt fachgerechte Instandsetzung der verursachten Blechschadens, Ersatz der beschädigten Teile, alle Sandstrahl Arbeiten sowie die Lackierung. Außerdem bleibt das Auto bis nach der Lackierung in der Werkstatt. Ich übernehme: Zerlegung von Fahrzeug und Motor, Kosten für evtl. Schweißarbeiten an der Karosserie, Teilebeschaffung und den Zusammenbau von Fahrzeug und Motor. Zeitrahmen max. 1 Jahr.
So vergingen die nächsten Wochen immer nach Feierabend mit dem Zerlegen und beschriften von Fahrzeug und Motor. Ich fand dann auch die Ursache für den dumpfen Schlag damals auf der Fahrt von Soest nach Kassel. Ein Ventil war kurzzeitg festbebrannt und die eine oder andere Stößelstange war nun krumm.
Sicherheitshalber tauschte ich gleich alle Ventile, Stößelstangen und Federn aus. Da ich Axel Stauber seit Jahren gut kannte und Landwehrhagen gerade mal 10 Km entfernt ist, war die Ersatzteilversorgung wärend der gesamten Restauration kein Problem. Es wurde auch gleich die falsche Motor- und Kofferraumhaube ersetzt und die Rücklichter wieder auf Eierleuchten umgebaut.
Nach dem Sandstrahlen wurde ich bestätigt, dass mein Entschluss zur Komplettrestauration richtig war. Das Fahrgestell war Makellos aber das Häuschen zeigte Spuren der Zeit im Hühnerstall und der anschließenden unsachgemäßen Instandsetzung in der "Hunde" Werkstatt. Löcher fanden sich außer an der hinteren Stoßstangenaufnahme zwar keine aber etliche "Flicken" im unteren Bereich der Karosserie. Die Flicken wurden alle heraus getrennt, da sich das schadhafte Blech noch darunter befand. Außerdem wurde vorsorglich das Heckabschlussblech und die Reserveradmulde ausgetauscht. Sie waren zwar nicht durch aber schon stark korrodiert.
Die Türen fanden dann auch den Weg auf meinen Dachboden denn sie zeigten im unteren Bereich die Schweißkünste der 90er Jahre und wurden durch zwei gebrauchte aus dem sonnigen Kalifornien ersetzt. Nebenbei ging auch der Tank zum Strahlen und Innenbeschichten. Der Motor wurde Eisgestrahlt, abgedichtet und die Luftleitbleche gestrahlt und Pulverbeschichtet. Da der Winter nahte bekamen Karosserie und Fahrgestell noch ihre 2K-Zinkphosphat-Epoxidharz-Grundierung.
Da im Winter nicht mehr an der Karrosserie gearbeitet werden sollte, kümmerte ich mich zu Hause im Warmen um das Aufarbeiten der Kleinteile und der Innenausstattung. Die Sitzbezügen waren ja leider nicht mehr Original und das Pünktchen Muster nur aufgedruckt. Zudem war der verwendete Stoff samtig. Sie dienten mir nur noch als Schnittmuster die neuen. Sicherlich hätte ein Sattler die Arbeiten perfekter und schneller ausgeführt, aber ich wollte möglichst viel selber machen denn ich hatte mittlerweile eine emotionale Bindung zu meinem Ovali. Ich möchte außerdem kein Show Car das als "Trailerqueen" zu Treffen reist. Ich möchte den Ovali zum Benutzen und Fahren - er hat in seinem Leben lange genug gestanden.
Da in der Werkstatt die Lackierkabine im frühjahr quasi dauerhaft belegt war baute ich erst einmal mein Carport. Im Juli stand endlich der Lackiertermin an und ich verbrachte meinen Sommerurlaub in der Werkstatt um in der Wartezeitzeit auf die Anbauteile schon mal die Hohlraumversiegelung einzubringen. Der Kabelbaum ersetzte ich auch gleich, der alte war ziemliches Flickwerk.
Am 20.08.2010 war es endlich soweit - der Käfer kam nach Hause. Hier konnte ich in Ruhe die Rest Arbeiten erledigen.
Im Oktober kam dann auch endlich die Urkunde von VW. Das Motor, Fahrwerk, und Karosserie zusammen gehörten wusste ich anhand der Original Brief zwar schon aber gebaut am 20.05.1957, ausgeliefert am 22.05.1957 nach Soest und zugelassen am 23.05.1957 in Soest liest sich dann doch sehr schön. Der etwas schäbige Hutmutterspiegel, den ich schon austauschen, wollte ist tatsächlich ab Werk verbaut worden und hat die ganze Zeit allen Widrigkeiten getrotzt.
Im März 2011 bin ich der Brezelfenstervereinigung e.V. beigetreten und habe mit meinem Ovali bereits 22000 Km zurück gelegt. Fahrzeuge sind halt keine Stehzeuge! Im Stich gelassen hat er mich bisher nur einmal - da ist der Vergaser übergelaufen und ich musste ein kurzes Stück nach Hause geschleppt werden. Ein neues Schwimmernadelventil brachte keine Abhilfe aber die heilenden Hände von EPH haben das Problem innerhalb einer Woche aus der Welt geschafft.
Eine Werkstatt wird mein Ovali garantiert nicht mehr von Innen sehen damit es nicht ein drittes Mal heißt "mach mal, hat aber Zeit"....
Ralf Lingnau